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Geschichte und Geschichten - Beiträge zur Döbelner Geschichte

Veröffentlichung des folgenden Beitrags mit freundlicher Genehmigung von:

www.doebeln-entdecken.de

Pferdebahn Döbeln - “... aber der Wagen der rollt” - oder: “wenn Träume wahr werden”

     Es geschieht wohl selten in der Historie einer Stadt, dass sich ein bedeutsames Ereignis nach 115 Jahren wiederholt. So geschehen in Döbeln am 10. Juli 1892 und am 9. Juni 2007....

     Im Jahre 1891 hatten fünf angesehene Döbelner Bürger, Kaufleute und Gewerbetreibende die Zeichen der damaligen Zeit verstanden und Pläne geschmiedet. Nach den Gründerjahren ab 1871 blühten Industrie und Gewerbe in der Stadt auf. Westlich, zwei Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, war durch den Hauptbahnhof ein Streckenknotenpunkt entstanden, an dem sich die Strecken Leipzig-Dresden und Chemnitz-Riesa mit regem Verkehrsaufkommen kreuzten. Diese Sachlage rief nach einem Nahverkehrsmittel zwischen Stadtkern und Bahnhof. Da eine elektrische Straßenbahn aus Kostengründen von vornherein ausschied, favorisierte man als Beförderungsmittel eine Pferdebahn.
     Im März 1891 riefen die fünf Pferdebahnpioniere E. Braun, F. Richter, W. Roßberg, O. Wilsdorf und O. Ziegenhirt zur Bürgerversammlung in das Schützenhaus, das heutige Volkshaus, auf. Über 400 Bürger erschienen und die Gründer der Döbelner Straßenbahn AG fanden offene Ohren und volle Zustimmung. In kurzer Zeit hatten 330 Bürger 550 Aktien erworben, jede zu einem Nennwert von 200 Mark. Von da an ging das Pferdebahnprojekt im Eiltrab voran. Pläne wurden erarbeitet, die Konzessionen eingeholt, Materialien, Wagen und Pferde geordert, der Trassenverlauf diskutiert und vieles mehr. Eduard Braun, Besitzer der Staupitzmühle, fungierte als Vorsitzender im dreiköpfigen Vorstand der AG, zu dem noch acht Aufsichtsratsmitglieder gehörten.
     Im April 1892 begannen die Vorarbeiten auf der Pferdebahntrasse. Beginnend am 9. Mai 1892 legten die Bauarbeiter Hand an die eigentlichen Streckenarbeiten vom Theaterplatz aus. Gleichzeitig wurden Gleise in Richtung Bahnhof und Obermarkt in das Pflaster gebettet. Und schon am 10. Juli 1892 war der Tag der Jungfernfahrt für die Wagen 1 und 2. Es wurde ein großer Festtag für die Döbelner, als nach den Festreden bei Musik und Trompetenschall beide Wagen, besetzt mit vierzig Ehrengästen, in Richtung Bahnhof vom Obermarkt rollten. Nach kurzem Halt am Hauptbahnhof konnte die Rückfahrt zum Obermarkt in Angriff genommen werden. Nach dem Eintreffen übergab Herr Eduard Braun die Pferdebahn den vielen erwartungsvollen Menschen zur gefälligen Nutzung. Bis zum Abend war die Bahn ohne Pause mit begeisterten Fahrgästen besetzt durch die Innenstadt zum Bahnhof gefahren. Die Halbtagseinnahmen an diesem Tag betrugen 118 Mark, woraus sich bei einem Fahrpreis von 10 Pfennigen die enorm hohe Zahl an Passagieren dieses Tages errechnen lässt.
     Zwei Monate später, am 8. September 1892, konnte die ganze Fahrstrecke in Betrieb genommen werden. Das Teilstück zwischen Obermarkt bis zum östlichen Endpunkt am Gasthof „Weißes Kreuz“ in der St. Georgen-Straße war wegen Materialschwierigkeiten später fertig geworden. Bedauerlich, aber solche Pannen gab es eben auch schon damals.
     Als dann ab dem 22. Oktober 1892 das Depot hinter der Jakobikirche in der Bahnhofstraße zur Verfügung stand, begann die eigentliche Pferdebahnzeit in Döbeln. Sie dauerte beachtliche 34 Jahre. Zur Auffrischung der alten Erinnerungen und für an Technik-Nostalgie Interessierte nun einige historische Daten zur originalen Döbelner Pferdebahn.

Die Strecke

     Die Gesamtstrecke von 2,45 Kilometer begann am Hauptbahnhof und verlief über Bahnhofstraße, Niedermarkt, Breite Straße, Bäckerstraße, Obermarkt, Sattelstraße, Ritterstraße und St.-Georgen-Straße bis zum Weißen Kreuz. Es gab elf Haltestellen. Vorrangig wurde in der Stadt an Hotels gehalten. Beispielhaft seinen dafür genannt: Hotel „Kronprinz“, Kreuzung Bahnhof- und Burgstraße, Hotel „Garni“, Bahnhofstraße, Hotel „Stadt Altenburg“ am Niedermarkt, Hotel „Reichshof“ auf dem Obermarkt und Hotel „Goldene Sonne“ in der Ritterstraße.
     Da die Wagen im Gegenverkehr im Einsatz waren, mussten verteilt auf die Gesamtstrecke acht doppelgleisige Ausweichstellen vorgesehen werden. Es bestanden drei Abzweige von der Hauptstrecke. Nach 70 Metern von der Bahnhofstraße ging es in das Depot, nach 150 Metern vom Obermarkt über König- und Zwingerstraße zum Posthof und einen kurzen privaten Abzweig gab es in der Ritterstraße zum Hotel „Goldene Sonne“.
     Die Steigung in der Bahnhofstraße ab dem Depot in westliche Richtung war zweigleisig ausgebaut. Auch musste dann zur Unterstützung bergan ein zweites Pferd vorgespannt werden.
     Die Gleise, in Form von Rillenschienen ausgeführt, hatten eine Spurweite von 1000 Millimetern. Sie ruhten auf einem Packlager-Kies-Planum, mittels eiserner Abstandshalter ergab sich die Spannweite, längsseitigen Halt gab das bündig angesetzte Straßenpflaster.

Der Fahrbetrieb

     Täglich gab es 66 Fahrten, 33 in jede Streckenrichtung. Um 05:24 Uhr begannen die Fahrten und die letzten endeten nach 23 Uhr. Jeder Zug, der auf dem Hauptbahnhof eintraf, wurde bedient. Von Endstelle zu Endstelle dauerte eine Fahrt mit der Pferdebahn 33 Minuten.
     Zehn Pferdebahnbeschäftigte transportierten täglich bis zu 580 Reisende. Das Rekordjahr war 1913 mit 293.542 Passagieren. Der Fahrpreis von 10 Pfennig hielt sich bis 1917. Im Folgejahr musste er auf das Doppelte erhöht werden. Vom 16.9.1922 bis 2.9.1924 ruhte inflationsbedingt der Personenverkehr. Nur der Transport der Postgüter kam nicht zum Erliegen. Kurzzeitige Betriebspausen gab es bei starken Schneefällen (1901) oder bei Hochwasserständen der Mulde (z.B. 1909); was selbst in der Gegenwart nicht abwendbar gewesen wäre.

Der Wagenpark

     Der Bestand an Personenwagen kletterte von drei im Jahre 1892 bis zum Jahr 1912 auf sieben Stück. Dazu gab es zwei Salzstreuwagen zum Freitauen der Schienen im Winter und drei geschlossene Postwagen. Die Postbeförderung stellte ein sicheres Standbein des Unternehmens Pferdebahn-AG dar. Sie brachte immerhin 30% der Einnahmen in die Kasse. Jeder Personenwagen war ca. 6 Meter lang und hatte eine Breite von 1,80 Meter. Es gab im Wagen 12 Sitz- und 15 Stehplätze.
     Mittels schnell wirkender Spindelbremsen, die vom Kutscher auf dem Perron per Handkurbel betätigt wurden, konnte gebremst und angehalten werden. Die Signalgebung erfolgte über eine Glocke. Bei Dunkelheit spendete je eine Laterne, vorn und hinten angebracht, Licht. An den oberen Wagenkanten befanden sich Schilder für die Fahrtrichtung und auch für Geschäftswerbung. Im Winter brachten kleine Glühstoff-Kanonenöfchen den Mitfahrenden etwas Wärme.

Die Pferde

     Zum Schluss, aber wohl am wichtigsten für den Antrieb, noch die Pferde, denn ohne „Hafermotor“ läuft keine Pferdebahn. 1892 waren 11 Pferde eingestellt. 1900 brauchte es 12 Stück. Ab 1918 sank die Zahl auf 10 ab, 1925 verblieben noch 8 Pferde. Die eingesetzten Pferde gehörten einer ausdauernden kleinen Rasse an. Jedes Pferd brachte es auf ein Tagespensum von 18 bis 20 Fahrkilometern. Die Unterbringung der Pferde erfolgte im Depot, wo es Futter und Schlafboxen gab. Ganz wichtig waren ein guter Hufbeschlag und im Bedarfsfall ein Tierarzt.

Das Ende der Döbelner Pferdebahn

     Aber auch die Ära der Pferdebahn ging zu Ende. Der technische Fortschritt brachte Automobile auf den Markt, mit denen unsere gute alte Pferdebahn nicht mithalten konnte. Im Jahre 1926 tauchten die ersten Kraftomnibusse in Döbeln auf. Einige Monate noch fuhren Pferdebahn und Autobusse gemeinsam am Hauptbahnhof los. Dieser Igel-und-Hase-Wettlauf war für eine Pferdestärke gegen die vielen unter einer Motorhaube nicht zu gewinnen. Am 20.12.1926 stellte Döbeln den Pferdebahnbetrieb ein.
     1928 wurden die Schienen vom Bahnhof bis zum Niedermarkt herausgerissen. Weitere Gleisreste verschwanden später bei Straßenarbeiten in den achtziger Jahren. 1929 kaufte Dachdeckermeister Paul Werner den Wagen Nr. 1 und stellte ihn an seinem Haus als Gartenlaube auf. Aber auch dieses Relikt verschwand in den vierziger Jahren. Letzte Schienenreste verblieben bis zur Gegenwart auf dem Obermarkt, darunter die dortige Ausweichstelle vor dem Haus Samen-Wagner und die Abzweigweiche zur Post. Diese Überbleibsel sollten zur oft zitierten Glut in der Asche werden, die den Pferdebahnwunschtraum an der Jahrtausendwende entzündete. Bei der Neupflasterung des Obermarktes im Jahre 2006 mussten diese Relikte aus der Pferdebahnurzeit leider entfernt werden. Aber die Enttäuschung war gering, denn es kamen neue Schienen zwischen das Pflaster.

Der Neubeginn

     Trotz unserer heutigen schnelllebigen Zeit ist von den ersten Gedankengängen für eine Wiederbelebung der Pferdebahn bis zu deren Jungfernfahrt auf einer Traditionsstrecke mehr Zeit vergangen als vor 115 Jahren. Viele Hürden galt es zu überwinden und ohne ein riesengroßes Stück Glück lebten wir heute noch alle im Pferdebahntraum. Leider fehlt in unserem Beitrag der Platz, alle Entwicklungsschritte zu schildern. Deshalb hier nur kurz:
     Begonnen hatte es am 11. Januar 2002, als 25 Mitglieder den Traditionsverein „Döbelner Pferdebahn“ e.V. gründeten. Herr Uwe Hitzschke, heute respektvoll „Pferdebahnchef“ genannt, wurde 1. Vorsitzender. Er ist das „zweibeinige Zugpferd“ der Pferdebahn, sprüht voller Ideen und spornt mit seinem Elan seine Mitstreiter an. Die „neue“ Pferdebahn sollte nie ein Hobby-Spielzeug ihrer Väter sein. Vielmehr bestand und besteht der Anspruch, durch eine ernsthafte Traditionspflege für Döbeln ein Alleinstellungsmerkmal zu erreichen, ein Zugmagnet, der Gäste in die Stadt lockt, Geschäfte sowie Hotels belebt und unsere Schul- bzw. Heimatstadt weit über ihre Grenzen hinaus bekannt macht.

Die Arbeiten 2002 bis 2006

     An vorderster Stelle standen zunächst das Sammeln von Zeit-zeugnissen der Original-Pferdebahn, das Festlegen und der Bau einer Traditionstrasse, die Beschaffung von Schienen, Wagen und anderer Materialien. Es mussten weitere Mitglieder gewonnen und finanzkräftige Sponsoren begeistert werden.
     Auf der Suche nach historischen Wagen wurde man in Keilbusch bei Meißen fündig. Es war der Wagen Nr. l der alten Meißner Straßenbahn, welcher auf einem Grundstück seit 1937 die Zeit als Laube und Hühnerstall überlebt hatte. Gerade dieser Wagen sollte nach liebevoller und aufwändiger Restaurierung in den Werkstätten des Dresdner Fortbildungs- und Umschulungswerkes zum Wagen Nr. l der Döbelner Bahn werden.
     Doch zunächst fielen die ersten Blütenträume buchstäblich ins Wasser. Im August 2002 überflutete das Jahrhunderthochwasser auch Döbeln verheerend und drängte den Verein in eine Zwangspause. Aber die Wassermassen konnten das Feuer der Vereinsbemühungen nicht löschen. Es ging weiter, wie nachstehende Zahlen und Fakten belegen:
     Im Jahre 2003 ragt die Teilnahme mit Infostand und Souvenirverkauf auf dem Döbelner Weihnachtsmarkt heraus. Zwei weitere historische Wagen wurden aufgefunden und erworben. Groß die Freude, als im Jahre 2004 mit der Teilnahme am Wettbewerb „Ab in die Mitte-City-Offensive Sachsen“ der 2. Platz erreicht wurde. Durch den Gewinn flossen fast 18.000 EUR in die Vereinskasse. Hinzu kam die Teilnahme mit historischem Wagen am Festumzug zum „Tag der Sachsen“ in Döbeln, zwar noch mit Leihwagen und im Huckepack auf einem Tieflader, doch für 100.000 Besucher gut wahrnehmbar und toll anzuschauen.
     2005 ging es dann ans Schienen-Verlegen. Ab dem 19. Mai wurde der Niedermarkt neu gepflastert, wobei die Verlegung der Schienen mit erfolgte. Die als Altware in Leipzig und Chemnitz erworbenen Schienenteile machten sich gut im neuen Pflaster. Am 14. Juni konnte die erste Strecken-Grundsteinlegung für den Abschnitt von der Bäcker- bis Theaterstraße auf dem Niedermarkt begangen werden.
     Am 22. Februar 2006 eröffnete das Pferdebahnbüro in der Bäckerstraße. Es fungiert als Geschäftsstelle und hält ein reichhaltiges Souvenirangebot bereit. Der Obermarkt erhielt ebenfalls ein neues Pflaster und mit ihm konnte die notwendige Verlängerung der Pferdebahngleise von der Bäckerstraße über den Markt bis zum "Alten Amtshaus" geschaffen werden.
     Hinter diesen wenigen Sätzen stecken unendlich viel Mühe und Arbeit der Freunde des Pferdebahn-Vereins. Es ist eine Leistung, die außerordentliche Hochachtung verdient!

Die "heiße Phase" 2007

     Nachdem Anfang 2007 die Theaterstraße ebenfalls neues Pflaster samt Schienen erhielt, können die Mitstreiter im Verein vom Endpunkt der bisher verlegten Trasse an der Zwingerstraße/Neugasse stehend, schon die nächsten Ziele optisch wahrnehmen: Das dringend benötigte Depot, das zugleich als Pferdebahnmuseum im Gebäude des ehemaligen Kindergartens auf dem Niederwerder ausgestaltet werden soll. Alle Beteiligten hoffen, dass bald wieder Leben in dieses Gebäude von 1903 einzieht, dessen Fassade einem alten Bahnhof sehr ähnelt.
     Seit dem Frühjahr 2007 ist unsere Pferdebahn richtig ins Rollen gekommen. Anfangs hat selbst die Mehrzahl der Döbelner noch gestutzt, als Pferd und Wagen an ihnen vorbeizogen. Für unsere Kleinen ist es natürlich ein Traum, mit Pferd und Bahn durch ihre Stadt zu fahren. Man muss nur in ihre strahlenden Gesichter blicken, am liebsten möchten alle auf dem Perron stehen und den vorbeigehenden Fußgängern zuwinken.
     Weil kein Originalfahrgestell für die Erneuerung der Wagen auffindbar war, musste eine nachempfundene Kopie aus leichtem Alu-Material mit vier Rädern hergestellt werden. Mit hydraulischen Scheibenbremsen ausgerüstet, die vom Perron durch den Kutscher per Pedal bedienbar sind, kann diese ganze Fuhre zum Stehen gebracht werden. Aber auch die alte Bremsenart per Kurbel und Spindel als so genannte Feststellbremse steht dem Fahrpersonal zur Verfügung.
     Am 6. März 2007 zog ein Gartentraktor das Fahrgestell für den Wagen Nr. l über die Trasse, um erste Erfahrungen bei Rollversuchen zu gewinnen. Diese fiel zur Zufriedenheit aus und der fahrbare Untersatz konnte umgehend zur Komplettierung mit dem eigentlichen Wagen nach Dresden geschafft werden.
     Da es in Döbeln kein Depot mit Gleisanschluss an die Trasse gab, machte sich ein Transporter als Zubringer erforderlich. Finanziert durch zwei Sponsoren stellte die Firma Anhänger-Schuhknecht in Leipzig einen doppelachsigen Trailer her, der den Pferdebahnwagen per Elektro-Hydraulik, vergleichbar einem Autotransporter, aufnehmen und absetzen kann.
     Endlich war es soweit. Am 9. Mai 2007 brachte dieser Transporter den Pferdebahnwagen via Autobahn von Dresden nach Döbeln, gezogen von den 150 Pferdestärken eines Nissan-Patrol-Jeeps. Bei der Ankunft in Döbeln konnte man die strahlenden Blicke bei den Augenzeugen dieses Ereignisses deutlich wahrnehmen. Der Wagen Nr. 1 ist ein Prachtstück! Leuchtend in den Farben elfenbein und weinrot, geziert durch die Aufschrift „Döbelner Straßenbahn“, dem Döbelner Wappen und einer großen „1“ vorn und hinten am Wagen war ein Meisterwerk gelungen. Den Dresdner Restauratoren gehört uneingeschränktes Lob!
     Da der Einweihungstermin bereits feststand, ging es am 11. Mai schon weiter. Erstmalig rollte der Wagen Nr. l über die Döbelner Gleise, gezogen von einem kleinen Gartentraktor mit 5 PS. Dabei sollte die Gängigkeit in den Kurven, die Bremswirkung und auch die erforderlichen Zugkräfte geprobt und gemessen werden. Das Test-Ergebnis fiel positiv aus.
     Am 14. Mai war noch mehr Betrieb auf dem „Pferdebahn-Sattelplatz“ vor der ehemaligen Tankstelle auf dem Niedermarkt. Nachdem der Wagen auf den Schienen stand, kamen per Transportwagen die echten „Zugnummern“ der Döbelner Pferdebahn vorgefahren: „Endro“ und „Günni“, zwei dreizehnjährige Warmblut-Wallache von einem Kutscherhof in Ebersbach bei Döbeln. Beide hatten 2006 das „Pferde-Casting“ für sich gewonnen. Es sind gestandene Kutschpferde. Aber ein Pferdebahnwagen und das ganze aufregende Umfeld ist doch etwas anderes als eine normale Kutschfahrt. Endro gab sich sehr nervös und aufgeregt. Schließlich rollte der Wagen Nr. l im flotten Tempo durch die Bäckerstraße bis zur Endstelle auf dem Obermarkt. Dort angekommen, galt es umzuspannen. Danach ging es in umgekehrter Richtung zur anderen Endstelle am Theater, verfolgt von den erstaunten Blicken vieler Passanten an der Strecke. Ein Gewitterschauer zwang zu einer kurzen Pause. Dann war Günni an der Reihe. Als er den Obermarkt erreichte, war inzwischen im Westen wieder die Sonne aus den Wolken gekommen. Sie zauberte über der Kirche St. Nicolai einen wunderschönen Regenbogen, was von den Betreibern der Bahn, die dieses Schauspiel sehen durften, als gutes Omen für die Pferdebahn gesehen wurde.
     Da bei dem zu erwartenden großen Trubel zur Einweihung nichts schief gehen sollte und die beiden Rappen beim Probieren leichte Unsicherheiten zeigten, mussten, wie oftmals auch im menschlichen Leben, die Frauen die Sache meistern. Dies geschah durch die gutmütige sächsische Kaltblutstute „Elli“ und die 16-jährige Warmblut-Stute „Jule“. Beide Pferde vom Kutscherhof Kohren-Sahlis traten am 23. Mai in Döbeln zur Probe an. „Elli“ zog los, als hätte sie nie etwas anderes getan. Beide Pferde übten mit Erfolg und nun, da auch alle Behörden, der TÜV und der Tierarzt grünes Licht gegeben hatten, konnte der große Tag der Jungfernfahrt kommen.

Die Premiere

     Ganz dem Motto der Döbelner „Dreien“ verbunden, gestalteten die Stadtverwaltung, das Mittelsächsische Theater und der Pferdebahnverein Döbeln diese Festlichkeit aus. Neben der Inbetriebnahme der Pferdebahn durfte das Mittelsächsische Theater seinen fertig gestellten Erweiterungsbau des Theaters einweihen. Beide Ereignisse sind wegen ihrer Realisierung in dieser Zeit so bemerkenswert, dass manch Besucher vom Döbelner Wunder sprach. Auch konnte die Stadt ihre beiden zentralen Plätze, den Ober- und Niedermarkt, sehr schön rekonstruiert der Bevölkerung zur Nutzung übergeben. Ein ganz großer Tag für unsere Stadt, was die Repräsentanten, Herr Bürgermeister Buschmann, Herr Intendant Schöbel und Herr Pferdebahnchef Hitzschke, immer wieder voller Stolz zum Ausdruck brachten.
     Am 9. Juni 2007 wiederholte sich somit ein historisches Ereignis in Döbeln, das schon einmal vor 115 Jahren auf dem Döbelner Obermarkt begann, die Jungfernfahrt der Pferdebahn. Viele, viele froh gestimmte Menschen aus nah und fern füllten Plätze und Straßen bei herrlichem Sommerwetter. Sie umringten am „Alten Amtshaus“ den Wagen Nr. l, an dem die kräftige „Elli“ vorgespannt war und vom Kutscher auf dem vorderen Perron zurückgehalten werden musste. Währenddessen würdigten vom hinteren Perron Festredner den Anlass. Es sangen Damen und Herren des Döbelner Stadtsingechores, gekleidet in historische Gewänder.
     Dann war es endlich soweit. Pferdebahnchef Uwe Hitzschke schwenkte seine Kopfbedeckung, eine schwarze Melone wie in alten Zeiten, und rief in Anspielung an die Eröffnung des Wiener Opernballes „Alles Pferdebahn!“. Der Wagen Nr. l rollte los und nur durch das Respekt einflößende Voranschreiten von „Elli“ konnte der Schienenweg freigemacht werden. Überall drängten Fotografen und Filmteams. Die Zuschauer begrüßten rufend die mitfahrenden Ehrengäste der ersten Fahrt. Begleitet vom Stadtsingechor ging es vorbei am Schlegelbrunnen und dem Rathaus - 1892 stand dort noch das alte Rathaus - in die Enge der Bäckerstraße. Dann ein Halt am Beginn des Niedermarktes. Von einer kleinen Bühne trugen Ensemblemitglieder des Stadttheaters Texte vor, die Musikanten der Mochauer Himmelfahrtsband ließen die Filmmelodie der Olsenbande erklingen. Dann ging es weiter. Als auf dem Niedermarktrondell die dem Wagen voranschreitende Band eine Melodie aus dem alten New Orleans erklingen ließ, da spürten viele eine wohltuende Ergriffenheit den Rücken hinunterrieseln! An der Kurve zum Theater der Ruf: „Gleis frei, die Pferdebahn kommt!“
     Nun ein Halt an dem neuen Vorplatz zwischen altem Theater und neuem Anbau. Es wird umgespannt, weitere Reden werden gehalten. Dann geht es zurück zum Startpunkt auf dem Obermarkt. Dort warten schon weitere Ehrengäste und Sponsoren der Bahn auf die zweite Fahrt. Unter den Ehrengäste ist auch unser 87-jähriger Vereinsfreund Werner Braun, dessen Großvater Eduard 1892 das Startsignal für die Jungfernfahrt von einst gab.
     Und so wie dazumal, nachdem gebührend Ehre verteilt worden war, nahm das „gemeine Volk“ die Bahn in Beschlag. Nach der kurzen Mittagspause kam Jule ins Zaumzeug. Bis 17 Uhr konnte durchgefahren werden, bei stets ausgebuchten Plätzen. Bis weit in die Nacht feierte die Stadt, während der Wagen Nr. l, Elli und Jule in ihren Ställen Kräfte sammelten. Denn am darauf folgenden Sonntag rollte die Bahn von 10 bis 17 Uhr. Am Sonntagabend des 10. Juni 2007 war ein bedeutsames und prachtvolles Wochenende Döbelner Geschichte geworden. Geblieben ist die Erinnerung an ein in Deutschland einmaliges Ereignis und es hat sich bestätigt, dass die Döbelner Pferdebahn eine gute Sache für die Stadt ist.

(Auszug)
Gerhard Heruth
"Traditions- und Förderverein Lessing-Gymnasium Döbeln" e.V.
Mitgliederinformation Nr. 33
November 2007